Yoga – mehr als ein Trend, mehr als ein Kult
- Lene Tabatabaei
- 16. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Es gibt wenige Begriffe, die so oft missverstanden und gleichzeitig so tiefgreifend transformierend sein können wie Yoga. In der westlichen Welt wird Yoga oft auf ein Lifestyle-Produkt reduziert – eine Wellness-Praxis, ein Mittel zur Selbstoptimierung oder Teil eines ästhetisch-spirituellen Images. Oder schlimmer noch: Es wird zum Deckmantel für spirituelle Machtmissbräuche, wie sie durch Persönlichkeiten wie Bikram Choudhury, Gregorian Bivolaru oder Swami Vishnudevananda traurige Berühmtheit erlangt haben.
Doch das, was ich unter Yoga verstehe, hat mit all dem nichts zu tun. Yoga ist für mich kein Guru-Kult, keine Religion und keine Modebewegung. Es ist auch keine Flucht aus der Realität in ein esoterisches Wunschdenken. Yoga ist vielmehr ein Konzept, eine Praxis der bewussten Wahrnehmung im Hier und Jetzt. Es geht darum, zu beobachten – sich selbst, seine Umwelt, seine Reaktionen – ohne zu werten.
Yoga ist kein blinder Glaube
Ich empfinde es als zutiefst bedenklich, wie oft Menschen, die sich dem Yoga zuwenden, in Abhängigkeiten geraten. In missbräuchliche Strukturen, in Hierarchien, in Ideologien. Das widerspricht meinem Verständnis von Yoga auf jeder Ebene. Denn wahres Yoga bedeutet für mich genau das Gegenteil: die Auflösung von Dogmen, das kritische Hinterfragen des eigenen Egos, die Rückverbindung zu sich selbst – unabhängig von äußeren Autoritäten.
Wissenschaftlich fundiert, spirituell gelebt
Noch immer wird Yoga – vor allem, wenn es nicht in der Form von Fitnessübungen auftritt – gern belächelt. Dabei liegen längst wissenschaftliche Studien vor, die die Wirksamkeit dieser Praxis auf Körper und Geist bestätigen. Und trotzdem fällt Yoga zwischen die Stühle: zu esoterisch für die Wissenschaft, zu körperlich für die Religion, zu spirituell für die Medizin.
Doch vielleicht ist genau das seine Stärke: dass es sich nicht einordnen lässt.
Kulturelle Aneignung – ein sensibles Thema
Ein Punkt, der mir besonders wichtig ist: Ich bin mir sehr bewusst darüber, dass ich als weiße CIS-Frau aus Deutschland Yoga unterrichte – eine Praxis mit Wurzeln in Süd- und Ostasien. Lange habe ich mich gefragt: Darf ich das überhaupt?
Ich glaube, es kommt auf das Wie an. Für mich bedeutet Respekt vor den Wurzeln, sich mit der Geschichte von Yoga auseinanderzusetzen, die kolonialen Kontexte nicht auszublenden und die spirituelle Tiefe nicht zu ignorieren. Es bedeutet aber auch, zu verstehen, dass Yoga ein lebendiger Prozess ist. Einer, der sich wandelt und weiterentwickelt – genau wie wir Menschen.
Übrigens: Ursprünglich war Yoga Männern vorbehalten. Viele klassische Asanas wurden für männliche Körper konzipiert. In meinen Kursen heute sind es aber überwiegend Frauen, die den Weg zum Yoga finden. Ist es da nicht überfällig, die Praxis anzupassen? Für moderne Körper, für heutige Lebensrealitäten?
Yoga als Verbindung
Yoga bedeutet wörtlich „Verbindung“. Für mich ist es die Rückverbindung zu mir selbst – und darüber hinaus zu allem, was mich umgibt. Wenn ich wirklich präsent bin, erkenne ich, dass sich alles ständig wandelt. Dass es keine festen Grenzen gibt – weder zwischen Körper und Psyche, noch zwischen mir und der Welt. Yoga lehrt mich, dass alles da sein darf. Auch das Unangenehme. Und dass meine tägliche Aufgabe darin besteht, wertfrei zu beobachten, anstatt zu urteilen.
Stellen wir uns vor, wir alle würden genau das jeden Tag üben – nichts weiter. Wie viel friedlicher, verständnisvoller, menschlicher könnte unsere Welt sein?
Yoga ist für mich keine Rolle, die ich spiele.
Es ist meine Lebensaufgabe.
Und ja, das Teilen von Yoga ist für mich kein esoterisches „Schi-Schi“, sondern eine Möglichkeit, echte Veränderung zu bewirken – in mir, in anderen, vielleicht sogar ein kleines bisschen in der Welt.

Sehr zu empfehlen! Mit Lene🥰